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Writer's pictureMiriam Meckel

Interview: booking Chairwoman Gillian Tans and Flixbus CIO Daniel Krauss

„In einem derart umkämpften Markt hilft Regulierung nicht, sondern schadet eher.“ Die Booking.com-Verwaltungsratschefin Gillian Tans und der FlixBus-Mitgründer Daniel Krauss sprechen über die Zukunft des Tourismus, deutsche Eigenarten und neue Geschäftsideen.




Düsseldorf Wer sich auf eine Reise in die Zukunft des Reisens macht, möchte etwas hören und sehen. Ersteres klappt zunächst nicht im ersten Anlauf des Gesprächs mit Gillian Tans, der Chairwoman von Booking.com, und Daniel Krauss, dem Mitgründer und CIO von FlixBus. Also wechseln wir die Reiseplattform, von Microsoft Teams zu Zoom, und schon sind wir im Jahr 2030.


Gillian, beginnen wir mit einer Zeitreise ins Jahr 2030. Was wird die Corona-Pandemie verursacht haben – den Niedergang oder die Neuerfindung der Tourismusbranche?


Gillian Tans: Puh, ihr fangt gleich mit den schwierigen Fragen an. Ich tippe auf die Neuerfindung. Das Internet hat die Branche schon seit Jahren zu Innovationen gezwungen, und diesen Trend wird die Coronapandemie beschleunigen. Künstliche Intelligenz, Big Data und stärkere Personalisierung werden das Erlebnis der Kund*innen verbessern, aber gleichzeitig deren Erwartungshaltung prägen. Hinzu kommt: Seit Corona achten die Menschen wesentlich mehr auf Gesundheit und Sicherheit einerseits und auf Flexibilität und das Kosten-Nutzen-Verhältnis andererseits. Das müssen alle Anbieter berücksichtigen.


Klingt beinahe so, als wäre die Pandemie ein Segen für die Branche.


Gillian Tans: Nein, das würde ich so nicht sagen. Dafür ist die Lage viel zu ernst. Dennoch wussten wir auch schon vor der Pandemie, dass Veränderungen niemals leichtfallen, in keiner Branche, in keinem Unternehmen. Umso besser sind nun jene dran, die wendig, flink und flexibel sind. Daniel, spulen wir noch mal vor ins Jahr 2030. Wie lautet deine Vision von Mobilität?


Daniel Krauss: Das klingt jetzt vermutlich langweilig, aber ich stimme Gillian in allen Punkten zu. Das Freizeitverhalten wird sich auch verändern. Die Corona-Pandemie bewirkt ein viel stärkeres Bewusstsein dafür, wie man seine freie Zeit nutzen sollte. Dabei stellen viele Menschen wenig überraschend fest, dass es für eine kurze Dienstreise nach New York selten einen triftigen Grund gibt – und ebenso wenig innerhalb von Europa. Wir haben nun endgültig den Beweis: Physische Anwesenheit ist längst nicht immer erforderlich. Das wird in der gesamten Tourismusbranche für riesige Verwerfungen sorgen. Vor allem in der Luftfahrt, aber nicht nur.


Welchen Anteil hat Technologie an diesen Veränderungen?


Daniel Krauss: Bei FlixBus etwa 50 Prozent. Selbst wenn wir von einem physischen Produkt abhängen – egal, ob Bus oder Bahn –, sind wir doch vor allem ein Technologieunternehmen.

Gillian Tans: Bei uns ist Technologie ebenfalls Kern unseres Handelns. Das unterschätzen viele Menschen gerne mal: Ja, etwa 60 Prozent aller Reisen werden immer noch offline gebucht. Und natürlich können Chatbots nie alle, aber immer mehr Fragen beantworten. Trotzdem ist der Techaspekt bei der gesamten Kundenbeziehung absolut essenziell. Umfragen zufolge wollen alle aus Gesundheitsgründen menschliche Kontaktpunkte während des Reisens minimieren. Nur die Deutschen sind hintendran. Sind wir in dieser Hinsicht ein besonderes Völkchen?


Gillian Tans: Nein, ihr müsst kein schlechtes Gewissen haben. Sagen wir so: Die Deutschen erweisen sich auch in der aktuellen Situation als ziemlich traditionsbewusst. Egal, ob im Hinblick auf Barzahlungen oder die Weitergabe persönlicher Daten: Ihr seid einfach sehr sensibel.


Daniel, kannst du das bestätigen?


Daniel Krauss: Absolut, wir mussten da auch Lehrgeld zahlen. In Deutschland buchen etwa zehn Prozent unserer Kund*innen komplett offline, der Rest über die App. In den USA wiederum liegt der Anteil der Offline- Kundschaft bei ziemlich genau null Prozent. Aber machen wir uns nichts vor, solche Änderungen brauchen Zeit und mehr als eine Reiseplattform. Ich nenne noch ein anderes Beispiel. Seit Kurzem sind wir auch in der Türkei vertreten – ein riesiges Land mit einer eigentlich sehr onlineaffinen Zielgruppe. Aber auch dort werden Reisen fast nur offline gebucht. Auf diese kulturellen Besonderheiten muss man Rücksicht nehmen.


Gillian, Booking.com ist der größte europäische Onlinereiseanbieter mit einem Marktanteil von 67,7 Prozent. Die EU-Kommission arbeitet daher an neuen Formen der Regulierung. Zu Recht?


Gillian Tans: Ich muss das zunächst klarstellen. In Wahrheit liegt unser gesamter Marktanteil bei etwa 13 Prozent, weil so viele Reisen offline gebucht werden. Das ignoriert die EU also schon mal. Das führt mich zum entscheidenden Punkt: Wir haben überhaupt nichts gegen Regulierung, solange es dabei fair zugeht. Wir sind in einem derart umkämpften Markt unterwegs mit derart vielen Anbietern – da hilft Regulierung nicht, sondern schadet eher.


Daniel, FlixBus hat im Zuge der Coronapandemie den Betrieb eingestellt, während euer Wettbewerber, die Deutsche Bahn, weiter leere Züge durchs Land schickt und Staatshilfe erhält. Dein Kommentar dazu?


Daniel Krauss: Wenn die Bundesregierung Einschränkungen beschließt, inklusive Beherbergungsverboten, halten wir uns selbstverständlich daran – aber natürlich beeinträchtigt das unser Geschäft. Parallel erhalten die Staatsunternehmen Milliardenhilfe. Entstehen ausgerechnet dort Innovationen? Das würde ich mal bezweifeln. Die drei wichtigsten FlixBus-Werte sind Klugheit, Nachhaltigkeit und Fairness. Das aber ist weder klug noch nachhaltig und schon gar nicht fair.


Wo wir gerade beim Thema Wettbewerb sind. Wann wird es endlich die eine, allumfassende Plattform geben, auf der wir all unsere Reisen buchen können, von Nah- bis Fernverkehr, von Straßenbahn bis Langstreckenflug?


Daniel Krauss: Ich hoffe nie.


Wie bitte?


Daniel Krauss: Ich verstehe natürlich, was ihr meint. Aber es ist doch so: Menschen brauchen den Vergleich, der Fortschritt braucht Wettbewerb – sonst gibt es keine Innovation. Hinzu kommt: Die Reisebranche ist einfach enorm komplex, mit allen ihren Tarifen, Bestimmungen und Regulierungen. Da ist die Bereitschaft, gegenseitig Schnittstellen bereitzustellen, nicht übermäßig ausgeprägt, um es mal vorsichtig zu formulieren.


Gillian Tans: Zugegebenermaßen gibt es im Bereich der Buchung immer noch Reibungen, oder besser: Es bieten sich noch viele Gelegenheiten, den Kund*innen das Buchungserlebnis zu erleichtern.


Bevor wir gleich zum Ende kommen, ein kurzes Spiel. Ordnet doch mal folgende Begriffe je nach Wichtigkeit: Bequemlichkeit, Preis, Nachhaltigkeit.


Gillian Tans: Wieder so eine schwierige Frage. Da wissen oft die Kunden selbst nicht, was sie wirklich priorisieren. Also gut, ich sage: Preis, Bequemlichkeit, Nachhaltigkeit. Dass der dritte Begriff immer wichtiger wird, ist unbestritten. Ich glaube allerdings, dass den meisten Menschen eine günstige Reise immer noch wichtiger ist als eine nachhaltige.


Daniel, was sagst du?


Daniel Krauss: Im Hinblick auf Nachhaltigkeit muss ich Gillian zustimmen. Ich würde bloß die ersten beiden Begriffe tauschen, also: Erst die Bequemlichkeit, dann der Preis. Solange ich denken kann, war ich immer Booking.com-Kunde ...

Gillian Tans: ... hört hört!


Daniel Krauss: Ist doch keine Schande. Warum? Weil die ganze Buchung immer total convenient war, also bequem – insofern war Booking für FlixBus immer ein Vorbild. Natürlich war eine Reise hier und da ein wenig teurer, aber eben auch unkomplizierter. Und das ist doch ein wesentlicher Teil von Freizeit: dass man keinen Stress hat.


Daniel, wann nehmen wir Nachhaltigkeit auch beim Reisen endlich ernst, und wie kann Technologie uns dabei helfen?


Daniel Krauss: Ich bin fest davon überzeugt, dass Technologie dazu beitragen wird, die Zukunft nachhaltig zu gestalten, und wir tun unseren Teil dafür.


Nachhaltig Busfahren – geht das?


Daniel Krauss: Ganz ohne Emissionen geht es selbst beim umweltfreundlichsten Fernbus nicht. Deshalb können die Kund*innen bei der Onlinebuchung in unserem Shop zum Beispiel ein Häkchen bei der Option „Klima- schutzbeitrag“ setzen, dann werden die auf der Fahrt entstehenden CO2-Emissionen kilometergenau berechnet und automatisch auf den Ticketpreis aufgeschlagen. Außerdem testen wir auf Fernlinien E-Busse und haben in diesem Jahr ein Pilotprojekt mit Solarpanels auf Bussen gestartet.


Gillian, werfen wir zum Schluss noch mal einen Blick in die ferne Zukunft. Wird es Experimente mit virtuellen statt mit physischen Reisen geben?


Gillian Tans: Tatsächlich probieren wir da derzeit einiges aus. Wird Virtual Reality (VR) das Reisen komplett ersetzen? Ich glaube, nein. Keine Frage, VR kann bei der Suche nach einem geeigneten Ziel enorm helfen. So eine Reise um die Welt ist ein echtes Investment, da wäre es doch ganz schön, wenn ich vorher sehe, wohin ich fahre. Aber echte, physische Reisen sorgen für eine neue Perspektive und schaffen Erinnerungen für ein ganzes Leben. Das kann die Technologie niemals ersetzen.


Daniel, werden eure Busse bald selbst fahren?


Daniel Krauss: Diese Technologie ist noch ziemlich am Anfang. Aktuell arbeiten wir an anderen Dingen: dass die Reisenden beispielsweise schon bei der Durchfahrt durch Augmented Reality sehen können, wo sie gerade sind, welche Orte sie besuchen sollten, solche Sachen. Aber ich gebe zu: Es ist nicht komplett ausgeschlossen, dass die Busfahrer*innen eines Tages zu Hause sitzen und das Fahrzeug vom Sofa aus steuern.


Wo wir gerade schon bei Zukunftsvisionen sind – welches Problem sollte Technologie dringend lösen?


Gillian Tans: Am Flughafen in der Schlange stehen. Ich finde es immer noch unfassbar, dass man dort teilweise stundenlang steht. Das muss doch einfacher gehen.


Daniel Krauss: Die Suche nach Informationen. Es gibt zweifellos viele tolle Apps. Aber wenn ich mein Hotel in einer fremden Stadt verlasse, frage ich immer noch: Wo bin ich? Wo sollte ich hin? Was kann ich da machen? Warum gibt es da keinen geeigneten digitalen Reiseführer? Das könnte doch was für ein Start-up sein.

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